Was werden die Leute denken?

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Sprache: Deutsch
Eröffnet: 24.11.2011
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Varon
24.11.2011, 17:02 von Varon: (2 x bearbeitet) Nr. 1
Was werden die Leute denken?

Neulich hab ich Jesus getroffen.
Das war nämlich so: ich saß auf dem Klo und hab ein Buch gelesen, ich weiß nicht mehr, ob es Douglas Adams war oder Nichtlustig-Comics und hatte nämlich vergessen abzuschließen, da kam er einfach rein.
Ich hob den Kopf.
„Ey!“, sagte ich empört.
„Du hast nicht abgeschlossen. Wir müssen reden.“, sagte Jesus.
„Du hättest klopfen können.“
„Heb deinen Hintern von der Keramik.“
„Aber...“
„Los, wir müssen reden.“
Mit scheuchenden Handbewegungen signalisierte ich ihm sich umzudrehen, legte das Buch weg, zog die Hose hoch und verließ mit ihm das Bad.
Fünf Minuten später saßen wir uns bei einer Tasse Kaffee gegenüber. Ich trug einen mürrischen Gesichtsausdruck. Jesus trug Jeans, Sandalen und ein grünes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck: „Jesus war der erste Hippie“ stand dort. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Der Kerl würde sich nie ändern.
Jesus pustete über seinen Kaffee, grinste kurz, trank einen Schluck, grinste weiter und sagte: „Wie geht’s dir denn, Judas?“
„Gut.“, brummte ich. Sein Grinsen wurde breiter.
„Du hast ja Brüste bekommen. Soll ich dich ab jetzt Judith nennen?“
Gereizt biss ich in den Rand meiner Tasse. Zwei, drei Sekunden lang unterdrückte ich die aufkochende Wut, bis sich mein 2000 Jahre alter Frust entlud. „Ach fick dich, Jesus!“ Ich donnerte die Tasse auf den Tisch zwischen uns. Kaffee schwappte über. Eine kleine Lache bildete sich.
„Wegen dir ist mein Karma seit 2000 Jahren scheiße! Ich bin ja froh, wenigstens endlich mal wieder als Mensch auf die Welt gekommen zu sein und nicht als Bandwurm!“
Beschämt starrte Jesus den kleinen Kaffeeteich um meine Tasse an und teilte ihn wie Mooses damals das Meer. Plötzlich tat er mir ein wenig Leid. Aber ich war trotzig und nicht gewillt weniger wütend auszusehen.
Mit vor der Brust verschränkten Armen ließ ich mich in die Lehne meines Stuhls fallen.
„Wolltest du deshalb mit mir reden?“, knurrte ich.
Ohne den Blick zu heben suchte Jesus ein paar Sekunden nach Worten, in denen er den übergeschwappten Kaffee telekinetisch wieder in die Tasse füllte.
„Ja, hm... ja.“, murmelte er. Dann sah er mich an. „Weißt du, ich hatte nie die Gelegenheit gehabt dir zu danken.“ Er schien darauf zu warten, dass ich ihm entgegen kam und etwas sagte. Aber so einfach machte ich ihm die Sache nicht. Also seufzte er nur kurz und verwandelte den Kaffee in Wein. „Dafür, dass du es getan hast. Dass... du die Schuld auf dich genommen hast. Die Schuld aller... und so.“
Unverändert grimmig starrte ich weiter.
„Seit 2000 Jahren hat niemand mehr sein Kind Judas genannt.“, entgegnete ich dumpf.
„Jesus, ich bin der Oberarsch der Geschichte.“
Er versuchte es mit einem schwachen Lächeln. „Ja aber wir beide wissen doch, dass es nicht so ist... nicht wahr?“ Ich hmpfte.
„Sieh mal...“, sagte er und schob mir zaghaft meine mit Wein gefüllte Kaffeetasse zu. „Ohne dich wäre das Evangelium nie aufgegangen und so. Du weißt schon... die ganze Sache mit der Ursünde und der ewigen Schuld und blaa... Jesus starb für alle Menschen am Kreuz und so...“, druckste er herum.
„Du wurdest an ein Stück Holz genagelt, weil du gesagt hast, wie toll du dir die Welt vorstellst, wenn alle mal nett zu einander sind.“, fasste ich die ganze Geschichte zusammen ohne die Miene zu verziehen. „Und gestorben bist du nicht mal.“ Jetzt zog Jesus eine Augenbraue hoch. „Hallo, ich bin der Sohn Gottes... ich kann Pisse zu Wein machen und auf dem Wasser tanzen, ich sterb doch nicht. Es ging ja damals auch um die Symbolik und so. Und ich brauchte halt jemanden für den Verräterjob und die andern hätten das nicht gerafft und du bist doch mein bester Kumpel...“ - „Ach, na immerhin. Und beste Freunde besucht man einmal in zwei Jahrtausenden oder wie?“ - „Ey komm, es war echt schwer, dich zu finden!“ - „Ja, weil ich verdammt noch Mal meistens ein Molch, ein Farn oder ein Meerschweinchen war!“
Ich wurde wieder wütend. Jesus merkte das und blieb einige Momente lang still. Ich griff nach der Tasse und leerte den Wein in einem Zug.
„Ich würde es jeder Zeit wieder tun.“, hörte ich mich plötzlich sagen und ich schaffte es auch nicht mehr, so wütend zu klingen wie am Anfang. Jesus lächelte hoffnungsvoll. „Die Menschen werden es aber nie raffen. Du könntest dich noch tausendmal an ein Kreuz hängen. Du könntest tausendmal sagen, dass alles viel einfacher wäre, wenn jeder seinen Nächsten lieben würde. Wenn die das kapieren würden...! Aber nein, es ist für die sogar noch leichter, eine ewige Schuld mit sich rumzutragen und zu sagen 'Ohh Jesus starb für uns am Kreuz, wir müssen das wieder gut machen!'. Sie machen's aber nicht gut. Sie machen gar nichts. Für niemanden. Alles, was du erreichen wolltest, alles, wofür du gepredigt hast ist heute wie damals für die voll für'n Arsch. Kennst du noch den Angelverein, den du damals gegründet hast?“ Jesus nickte knapp und schaute mich besorgt an. Ich lachte kurz hohl auf. „Den gibt’s immer noch. Nennt sich jetzt aber katholische Kirche, die müssen da irgendwas falsch übersetzt haben.“ Jesus zog überrascht die Augenbrauen hoch und lachte dann. „Ernsthaft?“ Ich konnte ein Schmunzeln nicht verbergen. „Ja, ernsthaft. Weißt du... bleib doch für 'ne Weile hier, kannst auf meiner Couch pennen, und schau dir das Dilemma selbst an. Ach und... gib mir mal noch 'ne Tasse Wein.“
Jesus grinste nun wieder. „Consider it done.“, sagte er und wir gaben uns die Brofist.
Er füllte ohne eine Handbewegung meine Kaffeetasse mit neuem Wein auf und zupfte sich dann kurz nachdenklich am Bart. „Sag mal... war das Leben als Bandwurm echt so ätzend?“ Ich nahm die Tasse und zuckte kurz mit den Schultern. „Letztlich war ich da ein Parasit und bin jetzt ein Parasit, aber als Bandwurm konnte ich wenigstens Sex mit mir selber haben.“, sagte ich am Ende.

Ich konnte ihm verzeihen. Nach 2000 Jahren. Es war nie seine Schuld gewesen und auch nicht meine. Wie schön die Welt doch wäre, dachte ich bei mir im Stillen, wenn alle einfach mal nett zueinander wären.





Ha, mal wieder was Geschriebenes von mir. Und ja, das lyr. Ich ist weiblich. Ich fand den Gedanken einfach nett, dass Judas mittlerweile eine Frau ist *grins* Im Übrigen sind die Ich-Personen in meinen Geschichten alle lyrische Ichs. Und ihr wisst ja, lyr. Ich bitte niemals mit dem Autor verwechseln.

Shi
24.11.2011, 18:46 von Shi: Nr. 2
Judas is hot.

Kaeru
25.11.2011, 00:49 von Kaeru: Nr. 3
*zustimm* und die story ist geil- jeder satz.

Varon
25.11.2011, 02:05 von Varon: Nr. 4
Warum ist Judas hot oô

Dread
25.11.2011, 03:01 von Dread: Nr. 5
Heh, echt Klasse!

Ich trug einen mürrischen Gesichtsausdruck. Jesus trug Jeans < Der hats mir angetan lol

Yhoko
25.11.2011, 08:09 von Yhoko: Nr. 6
Liest sich gerne :-)

Varon
25.11.2011, 16:06 von Varon: Nr. 7
Dankeschön :)

Shi
25.11.2011, 19:03 von Shi: Nr. 8
Ich meinte damit, dass der Text toll ist. Auch dass du Judas als immer wiederkehrendes Lebewesen, dieses Mal immerhin als Frau, ist ein netter Aspekt. Der ganze Text sieht so aus als hättest du ein kleines Problem mit diesen ganzen Religionen. :]

TaLupa
13.06.2012, 13:18 von TaLupa: Nr. 9
Fantastisch :-)

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